Wenn man an deutschen Ratskellern vorbeigeht, verströmen sie, so sie nicht längst geschlossen sind, in der Regel den Duft von Gulasch, Kasseler, Rotkraut und Gurkensalat. In der Tat weigert sich der eigene Erwartungshorizont ja denn auch, im Keller eines deutschen Rathauses ein Sushi-Restaurant oder eine spanische Tapasbar zu vermuten. Das kommt all jenen entgegen, die sich sowieso am besten zwischen Schmortöpfen und braunen Saucen aufgehoben fühlen und das Schild der klassischen deutschen Küche hochhalten. Solange noch deutsche Ratskeller existieren, werden sie dort immer wieder ihre Trutzburg finden. Schwieriger ist es schon für jene, die zwar deutsch und regional kochen wollen, dennoch aber aus dem Sauceneinerlei deutschen Bratenbeliebigkeit aussteigen wollen. Sie müssen ihre aufgepeppten oder neuen Gerichte unter dem Druck kreieren, das traditionelle Bild des deutschen Ratskellers und der deutschen Küche nicht zu beschädigen, den globalisierten Strömen des Fleisch- und Gemüsemarktes zu widerstehen und Regionalität und Saisonalität dagegen zu setzen, ihren eigenen Ansprüchen an moderne Küchen- und Kochmethoden genügen und gleichwohl für den Geschmacksnerv des Reisegruppen- wie des Stammgastes immer schmackhaft und immer gleich gut zu sein. Was immer einen antreibt, sich einem derartigen Stress zu unterziehen, Bequemlichkeit und Anspruchslosigkeit sind es nicht.
So hat im Köpenicker Ratskeller der umwerfende Duft von frisch geräucherten Schweinehaxen auch die zuvor erwähnte Kombination abgelöst. Man kann satt ohne Ende z. B. nach einem Dreigängemenü sein, trägt einer danach am eigenen Tisch vorbei zum Nachbartisch eine solche Haxe, so läuft einem unweigerlich das Wasser im Mund zusammen. Einmal pro gastronomischer Saison, also entsprechend den Jahreszeiten versuche ich in den Ratskeller zu gehen, um dort Gerichte vom jeweiligen saisonalen Karteneinleger zu probieren. Jedes Mal muss ich gegen die Lust ankämpfen, einfach doch mal wieder eine Haxe zu essen.
So trieb es mich auch dieser Tage dorthin, um dem derzeitigen Einleger „Blumenkohl und Pfifferlinge“ meine Referenz zu zollen, dem ersten Einleger, den Küchenchef Matthias Starke vollständig seinen beiden Souschefs überlassen hat, worauf nun alle Beteiligten ein bisschen stolz sind. Und dieser Besuch war der erste nach der Umbaupause, die dem Ratskeller eine völlig neue Kücheneinrichtung gebracht hat, worauf alle Beteiligten noch viel stolzer sind, doch davon wird noch zu reden sein.
Der Köpenicker Ratskeller hat in den letzten Jahren eine Wandlung genommen, die schon ihresgleichen sucht. Insbesondere seit dem Ende des outdoor-Jazzfestivals hat sich Betreiber Wolfgang Pinzl mit ganzer Kraft auf die Weiterentwicklung des Restaurants konzentriert. Es galt, das Küchenpersonal ebenso neu aufzustellen, wie die Servicekräfte. Das Angebot sollte neu entwickelt werden, ohne dabei die langjährigen Renner aus dem Blick zu verlieren, die Terrasse in Alt-Köpenick war voranzubringen, die Kassentechnik sollte erneuert werden. Stellte früher die Schankanlage den technischen Mittelpunkt einer Restauration dar, so schweben heute W-Lan, Online-Reservierungen , Daten-clouds und Terminals über dem Wohl und Wehe gelingender Gastronomie.
Zu den neuen Geräten in der Küche gehört ein Lavasteingrill, der bei bis zu 800 °C sensationelle Grillaromen erzeugt und dessen Erzeugnisse in der Karte natürlich einen sichtbaren Platz einnehmen. Beim Einleger betraf das neben einer im Ganzen gegrillten Dorade ein Paillard vom Kalb mit gebratenem Blumenkohl und Kartoffelkrapfen, für das ich mich entschied. Doch zuvor nahm ich ein Schaumsüppchen vom Blumenkohl und Curry mit Pfifferling-Kartoffel-Türmchenauf dem eine gegrillte Garnele verwegen ihr Haupt erhob. Neben der sterneverdächtigen Anrichteweise war das Süppchen von einer ausgewogenen Balance zwischen Blumenkohl und Curry gekennzeichnet und fand seinen abschließenden Geschmackshöhepunkt in der mit ein paar edlen Salzflocken zubereiteten gegrillten Garnele.
Das Paillard aus der Oberschale des Kalbes, zu dem die Definition sagt, es sei ein dünn plattiertes Fleisch, sah optisch am ehesten wie ein Flanksteak aus, einer jener neuen Steakzuschnitte aus dem Bauchlappen des Rindes, die hierzulande gerade frisch in Mode gekommen sind.
Wolfgang Pinzl erzählte mir, dass er bei der redaktionellen Bearbeitung dieses Gerichtes auf dem Einleger lange nach einem verständlicheren Wort in deutscher oder englischer Sprache gesucht, aber nichts gefunden habe, so dass er sich auf der Karte zu einer Erklärung mit Sternchen genötigt sah. Dem Steak mit seinem beispiellosen Grillaroma tut dieses sprachliche Dilemma keinen Abbruch. Es ist einfach nur oberlecker. Die frischen Kartoffelkrapfen und der Blumenkohl runden das Gericht in vollkommener Weise ab, schließlich –gewissermaßen on top- noch ein kleines Kräuterbukett, offenbar durch eine süßliche Vinaigrette gezogen, als Kontrapunkt. Die einzelnen Aromen dieses Gerichtes sind für mich auch heute, ein paar Tage später, noch alle einzeln abrufbar, Beliebigkeit ist wohl anders.
Nach dem Hauptgang war die Zeit für die Besichtigung der neuen Küchenausrüstung gekommen.
Als die Frage nach der Umrüstung einzelner Küchengeräte im Raum stand, war bald klar, so richtig Sinn, macht die ganze Aktion nur, wenn bei dieser Gelegenheit die Küche noch einmal ganz grundsätzlich überdacht wird. Wolfgang Pinzl und Matthias Starke entschieden sich genau für den richtigen Weg. In Ruhe jeden technologischen Prozess in der Küche überdenken, Beratung in Anspruch nehmen, Erfahrungen anderer anhören. Zwei überflüssige Schritte für den Koch können sich am Ende eines Services leicht mal zu 600 Schritten summieren. so entstand ein grundsätzlich überdachter technologischer Ablauf, in den nun sinnvoll die neue Kücheneinrichtung eingeordnet werden konnte. Lavasteingrill, Induktionsherde, Konvektomaten, Kühltechnik, Arbeitsplatz für den Pattisseur, neuer Pass, warm, wo er warmhalten soll, gekühlt, wo es der Frischhaltung bedarf. Dass das alles nicht umsonst ist, liegt auf der Hand.
Jeder, der sich schon mal mit Werkzeug beschäftigt hat, musste sich der Erkenntnis beugen, dass Werkzeuge aus dem Baumarkt oder dem Supermarkt für die heimische Hobelbank oder die heimische Hobbyküche ein Bruchteil dessen kosten, was vergleichbare Gerätschaften im Profibereich an Budget verschlingen. Der Blick auf eine kleine Insel inmitten der Kochfelder mit einem großen Wasserhahn und vier Steckdosen und Halterungen für die Pürierstäbe lässt aber denn doch bestenfalls den Profi eine vierstelligen Anschaffungssumme erahnen.
Das Dessert, das ich am Ende noch probiere, scheint eher von einem leicht philosophisch angehauchten bildenden Künstler entworfen zu sein, als in einer Küche. Waldboden aus leckeren Schokoladenstreuseln bewachsen mit Moos und Waldbeeren, Sauerampfer Parfait und Creme brulet vom Holunder.
#Die Interpretation von Bild und Aromen kann einen nachhaltig beschäftigen, genau das Richtige für den Heimweg, der sich auch mit der Hoffnung verbindet, dass ein neuer Einlieger einem recht bald die Rechtfertigung zu einem neuerlichen Besuch des Köpenicker Ratskellers bietet.